Modul #2

Das Kleid und sein Abbild
Modefotografie in Theorie und Praxis

Geschichtliche Betrachtungen

Die Vorläufer der ersten Modefotografien stammen aus dem Jahr 1856. Adolphe Braun veröffentlichte ein Buch mit 288 Fotografien von Virginia Oldoini, Comtesse de Castiglione, einer toskanischen Edeldame am Hof Napoleon des III.Die Comtesse führte auf diesen Bildern ihre Garderobe vor und wurde so das erste Fotomodell der Geschichte.

1892 erschien die erste reproduzierte Modefotografie in der französischen Publikation "La Mode Pratique". Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienen Modefotografien in Zeitschriften wie "Harper´s Bazaar" oder "Les Mondes". Zur gleichen Zeit etablierten sich eigene Fotostudios für Modefotografie in den europäischen Hauptstädten wie die Ateliers "Reutlinger", "Talbot" (Paris), "Willinger" oder "Binder" (Berlin).

Als Condé Nast im Jahr 1909 das Magazin "Vogue" übernahm, begann die Modefotografie durch die neu entwickelten Inszenierungen der Bilder, die Baron Adolf de Meyer entwickelte, einen eigenen Status hervorzubringen. Meyer bildete die Fotomodelle in natürlicher Umgebung und natürlichen Posen ab. Die Modezeitschrift Vogue und ihre stärkste Konkurrenz, Harper´s Bazaar, führten die Modefotografie in den zwanziger und dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer angesehenen Kunstform.

Wichtige Protagonisten in dieser Zeit waren Edward Steichen, George Hoyningen-Huene, Horst P. Horst oder Cecil Beaton. Auch surrealistische Fotokünstler wie Man Ray oder Lee Miller arbeiteten für dieses Genre. In Berlin etablierte Yva erfolgreich ihr Studio, in dem Helmut Newton ausgebildet wurde.

Der zweite Weltkrieg bedeutete für die Modefotografie eine wichtige Zäsur. Der Schwerpunkt der Arbeit der ModefotografInnen verlagerte sich von Europa in die USA. Dort konkurrierten Vogue und Harper´s Bazaar um den Markt. Ihre HausfotografInnen wie Irving Penn, Martin Munkacsi, Richard Avedon und Louise Dahl-Wolfe sollten den "Look" der Modefotografie für die nächsten Jahrzehnte entscheidend prägen. Die Modefotografie löste sich aus ihren starren Positionen und entwickelte eine freiere Bildsprache. Der Fotograf Martin Munkacsi lichtete 1936 als erster Models am Strand in sportlichen Posen ab und beeinflusste damit seine jüngeren KollegInnen. Unter der künstlerischen Leitung von Alexey Brodovitch setzte gerade Harper´s Bazaar diese neue Bildauffassung in ihrem Magazin durch.

Im deutschsprachigen Raum entwickelten sich in den fünfziger- und sechziger Jahren beispielsweise Regina Relang, F.C. Gundlach, Willy Maywald und später Walter E. Lautenbacher zu Grössen der Modefotografie.


Trendbewältigung

Bereits 1935 merkte Steinmetz an, die Mode sei der periodische Stilwechsel von mehr oder weniger zwingendem Charakter. In dieser "Institutionalisierung des Vergänglichen" werde die ständige Veränderung zur einzigen Konstante in der Mode. (Esposito, 2004)Das Geheimnis der Mode bestehe laut Baudelaire (1989) darin, "aus dem Vergänglichen das Ewige herauszuziehen."

Die Flüchtigkeit der Mode wird von der Fotografie festgehalten. Eine Modefotografie zeigt nie nur die abgebildeten Kleidungsstücke, sondern ist zugleich immer auch eine Dokumentation von gesellschaftlichen Normen, inszenierten Wünschen und sich wandelnden sozialen Strukturen.
Die Modefotografie generiert Geschlechterrollen, arbeitet mit Standes- und Sippenidentifikation und vermittelt ethische und ästhetische Wertesysteme.

Der vorherrschende stete Wechsel von Mode und Trends mutet dem/der KonsumentIn eine Reihe von Bewältigungsstrategien zu, um Schritt zu halten und/oder sich dem Druck massenmedialer Infiltration zu entziehen. Kann das Individuum noch individiuell sein?


Individualität vs Zugehörigkeit

Die Mode ist vor allem Versprechen und Suche nach Individuation. (Esposito, 2004)
Sie kombiniere, so Simmel bereits 1905, die Orientierung am beispielhaften mit dem Bedürfnis nach Distinktion und tendiere dazu, den Einzelnen mit dem Universellen zu verschmelzen und zugleich nach der individuellen Differenzierung zu suchen.
Dies wiederum sei, so Ragone 1976, eine schwer zu versöhnende soziale Erzeugung von Differenzen.

Inwieweit kann Mode dem Ausdruck der individuellen Persönlichkeit genügen?
Ist es möglich, sich der Mode zu entziehen?
Oder erkennt jedeR, der/die sich ihr zu entziehen vermeint, nicht implizit ihre Macht an, indem er/sie sich auf sie in der Abgrenzung ihr gegenüber bezieht?

Wenn Mode der Versuch des Ausdrucks eines individuellen(?) Lebensgefühls ist, so ist die Modefotografie eine Synthese aus idealisierter Inszenierung und gesellschaft-licher Realität. Sie zeigt die untergründigen Beziehungen zwischen Mode, Kultur und Gesellschaft, wobei die Spannungen zwischen Realität und Fiktion je nach Inszenierung fließend sind. Ein bestimmendes Modediktat ist aufgehoben durch die Stilisierung und Selbstinszenierung. Schrille Übersteigerung und sachliche Strenge stehen nebeneinander.

Inwieweit generiert Modefotografie Realität?
Welche Parameter erzeugen welche Ergebnisse?


Modefotografie im Kunstdiskurs

Die Bilder der Mode werden zunehmend von einer größeren Öffentlichkeit auch ausserhalb ihrer ursprünglichen Wirkungsfelder von Werbung und Modemagazinen wahrgenommen. Ihre Bedeutung scheint sich vom reinen Abbild von Kleidung über die Konstruktion von Lebenswelten bis hin zur Schaffung von Werken der Kunst ausgeweitet zu haben.

Ist Modefotografie bereits in die heiligen Hallen der Kunst vorgedrungen und kann sie als ernstzunehmende künstlerische Disziplin definiert werden?
Inwieweit verändert sich dadurch die Sichtweise auf diese Produktionsform?

Theodor W. Adorno schreibt in seiner "Ästhetischen Theorie": "Die Kunstwerke, sterbliche menschliche Gebilde, vergehen offensichtlich um so rascher, je verbissener sie dem sich entgegenstemmen." Über das Modische bemerkt er: "Die exponiert sich vorwagenden, dem Anschein nach ihrem Untergang entgegeneilenden Werke pflegen bessere Chancen des Überlebens zu haben als die, welche um des Idols der Sicherheit willen ihren Zeitkern aussparen(...)" Kunst strebte also ursprünglich der Ewigkeit entgegen, die Mode dagegen der Vergänglichkeit.

Schließt die Vergänglichkeit von Mode und ihrer visuellen Abbildung in Form von Modefotografie den Kunststatus letzterer kategorisch aus, oder unterliegt dies wiederum der Vergänglichkeit von Mode?

Quellen:
Elena Esposito. Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden: Paradoxien der Mode. Suhrkamp, 2004
http://www.goethe.de/Ins/id/lp/prj/arc/sze/ade/de28794.htm
http://www.chaosundzerstoerung.de/?tag=adorno

Positionen zeitgenössischer österreichischer Modefotografie

In der Ausstellung zeigt Interfashion einen Querschnitt zeitgenössischer, österreichischer Modefotografie und deren unterschiedliche Bildsprachen.

In den Videolectures sprechen ExpertInnen über Bedeutung und Wirkungsweisen von Modefotografie sowie über ihre induviduellen Perspektiven und Zugänge.

Literatur zum Thema gibt Einblicke über den Stand der Auseinandersetzung, aufliegende Mode-und Lifestylemagazine zeigen die Trendveränderungen in der Modefotografie.

Die Abendveranstaltungen servieren leicht-lockere Modekost.

(siehe Programm)

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